Autor:in: Arnd Kolb

Datum: 29 März, 2024

Kategorie: Neuigkeiten


Afghanistan ist ein faszinierendes Land mit einem reichhaltigen und vielfältigen kulturellen Erbe. Das zentralasiatische Land hat im Laufe seiner Geschichte eine einzigartige Klangkunst entwickelt, in der sich die kulturellen, ethnischen und regionalen Unterschiede des Landes widerspiegeln. Dieser Reichtum ist durch die Machtübernahme der Taliban im August 2021 in seiner Existenz bedroht. Kunstschaffende werden verfolgt, Musik generell verboten. Es gibt in Deutschland Institutionen, die dem nicht tatenlos zusehen.

Mitra Behpoori arbeitet für so eine Institution. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Lehrstuhls für Transcultural Music Studies der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar und Mitglied des Expertenkomitees für Immaterielles Kulturerbe der Deutschen UNESCO-Kommission. In unserer aktuellen Podcast-Folge erzählt sie Tuba Tunçak über Strategien, afghanische Musikschaffende zu schützen und die Auslöschung des kulturellen Erbes Afghanistans zu verhindern. Ein afghanischer Künstler im Exil, Dr. Waheedullah Saghar, ehemaliger Leiter des Lehrstuhls für Musik an der Fakultät der Künste der Universität Kabul, kommt auch zu Wort und teilt mit uns sein Wissen sowie seine Erfahrungen. Dadurch wird eine einzigartige Musikkultur sichtbar, die es zu bewahren gilt.

Mitra Behpoori ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Transcultural Music Studies der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar, der seit 2009 von Prof. Dr. Tiago de Oliveira Pinto geführt wird. Der Lehrstuhl, der 2016 zu einem UNESCO-Lehrstuhl erhoben wurde, ist der Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz und zum Erhalt des immateriellen kulturellen Erbes verpflichtet. Dementsprechend geht es nicht nur um die Erforschung von Musik in ihrem kulturellen Kontext, sondern auch um die Bewahrung derselben. Mit der Universität Kabul verband die Hochschule für Musik in Weimar seit 2012 eine langjährige, erfolgreiche Kooperation. Ein wichtiger Teil der Arbeit beinhaltete, voneinander zu lernen, sich auszutauschen und gemeinsam zu musizieren, aber auch darin, wertvolle Rundfunkaufnahmen aus dem Rundfunkarchiv in Kabul zu digitalisieren.

Die Situation veränderte sich dramatisch durch die Machtübernahme der Taliban im August 2021. Bereits wenige Tage danach, erließ die islamistische Gruppe ein Musikverbot, zerstörten Instrumente und verwüsteten die Räumlichkeiten des Afghanistan National Institute of Music in Kabul (ANIM), der einzigen Musikhochschule im Land. Seitdem herrscht Stille.

Die Ereignisse in Kabul haben damals die Arbeit des Teams vom UNESCO-Lehrstuhl für Transcultural Music Studies stark beeinflusst, zu dem Mitra Behpoori auch gehört. Die erste Sorge des Teams galt den bedrohten Musiker:innen vor Ort.

„Wir haben auf unserer Internetseite ein großes Archiv, das wir seit 2012 mit der Kabul University aufgebaut haben. Und meine Aufgabe war, die Bilder und Dokumente, auf denen Musiker:innen zu sehen waren, die noch in Afghanistan lebten, „Offline“ zu setzen, damit sie nicht bedroht sind. Solange sie in Gefahr waren, war es besser, gar nichts von Ihnen zu sehen.“ Mitra Behpoori

Um die 200 Musikschaffende konnten sich seit diesen Tagen dem Terror entziehen. Sie wurden evakuiert oder konnten auf andere Weise fliehen. Eine große Anzahl der ANIM-Studierenden rette sich nach Portugal. Viele andere Musikschaffende, darunter viele Meistermusiker, kamen nach Deutschland. In den Momenten, in denen sie zusammen-kommen und gemeinsam spielen, ist es wie früher, nur leider nicht mehr in Afghanistan.

Einer dieser Musiker ist Dr. Waheedullah Saghar. Er war einst Leiter des Lehrstuhls für Musik an der Fakultät der Künste der Universität Kabul. Nach seiner Flucht lebt er heute in Weimar. Wie viele seiner Landsleute war er damit konfrontiert, sich nun in einem ganz anderen Kulturraum bewegen zu müssen.

„In Deutschland gibt es viele Herausforderungen, besonders für Musikschaffende. Die neue Sprache, die andere Kultur, die so unterschiedlich ist. Die Schwierigkeit eine Arbeitsstelle zu finden, die meiner Qualifikation entspricht.“ Dr. Waheedullah Saghar

Dr. Saghar ist Teil des „Safar“-Projekts. Safar bedeutet Reise. Es ist eine besondere musikalische Reise, die für einen lebendigen Austausch zwischen unterschiedlichen Musikkulturen sorgen soll. Gleichzeitig soll den afghanischen Künstler:innen jedoch auch die Chance ermöglicht werden, ihre musikalische Tradition in der Diaspora zu pflegen, damit das reichhaltige Wissen bewahrt wird.

Die Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar unterstützt das „Safar“-Projekt. Die Universität ist aber auch auf vielfältige Art und Weise damit beschäftigt, das immaterielle Kulturerbe der afghanischen Musikkultur zu erhalten, z.B., indem das Archiv der staatlichen Rundfunkanstalt Radio Television of Afghanistan (RTA) mit seinen Schätzen gerettet wurde.

Wie wichtig die Arbeit ist, verdeutlicht die Tatsache, dass in Afghanistan Meistermusiker kulturelles Wissen und die damit verbundenen Fertigkeiten oft mündlich und über Generationen hinweg weitergeben. Diese Musiker sind oft Experten auf ihren Instrumenten und spielen eine wichtige Rolle bei der Bewahrung und Weitergabe der afghanischen oralen Musiktradition. Durch die Radikalität der Taliban und dem folgenden Exodus der afghanischen Kulturschaffenden entstand hier ein gefährlicher Bruch, der die kulturelle Identität eines ganzen Landes bedroht.

„Die mündliche Überlieferung ist schon sehr speziell. Wenn man auf die Bühne geht, sieht man keine Noten. Und die Musik funktioniert nur durch Augenkontakt. Alles ist im Kopf, im Gedächtnis.“ Mitra Behpoori

Aber nicht nur das ist besonders, an der musikalische Vielstimmigkeit von Afghanistan, einem Land, dass aufgrund seiner Lage, seiner verschiedenen Volksgruppen, kulturellen Prägung und Einflüssen aus anderen Regionen eine unglaubliche Klangwelt entwickelt hat. Und auch wenn diese Klangwelt im Augenblick nur außerhalb Afghanistans überleben kann, so merkt man spätestens dann, wenn die Musikschaffenden auf der Bühne etwas von ihrem Können offenbaren, dass Heimat mehr ist als eine räumliche Dimension:

„Sie erzählen, dass das Instrument ein Stück von zu Hause ist. Es symbolisiert die Heimat. In dem Moment, wenn sie auf die Bühne gehen, sind sie nicht mehr in Deutschland, sondern in ihrer Heimat.“ Mitra Behpoori