Autor:in: Arnd Kolb

Datum: 30 Juni, 2023

Kategorie: Neuigkeiten, Profile


Südamerika hat eine reichhaltige Musikkultur, die sich durch eine Vielzahl unterschiedlicher Musikstile auszeichnet. In der Kolonialzeit haben europäische Siedlergruppen und von Afrika verschleppte Menschen ihre Musiktraditionen mitgebracht. Sie dominieren heute die allgemeine Sichtweise auf die südamerikanische Musik. Dahinter verschwindet der vielseitige indigene Einfluss auf verschiedene Musikstile, z.B. in der Alten Musik. Der Argentinier Rafael Montero möchte dies verändern. In unserer neuen Podcast- Folge erzählt er als Gast von Tuba Tunçak seine Ziele und gibt dabei viele Denkanstöße.

Tenor Rafael Montero ist im argentinischen Córdoba geboren. Montero studierte Jura und Gesang, bevor er sich auf Alte Musik, insbesondere auf spanische und südamerikanische Barockmusik der Renaissance, sowie auf romantische und zeitgenössische Kammermusik aus Südamerika spezialisierte. Dabei entwickelte der heute in Köln lebende Künstler, eine besondere Leidenschaft für die reichhaltigen musikalischen Traditionen seiner Heimat. Ihn stört jedoch, dass diese Vielfalt oftmals nicht wahrgenommen wird.

Wir haben viel mehr als nur Tango in Argentinien. Aber viele Leute wissen das nicht. Sie denken, Argentinien ist ein weißes, europäisches Land. Das stimmt nicht. Viele wie ich sind nicht weiß. Wir spielen auch nicht Tango. Wir machen unsere traditionelle Musik, Folklore genannt, und ich klassische Musik.

Rafael Montero

Montero, der Inka-Abstammung ist, und mehrere indigenen Sprachen spricht, wünscht sich mehr künstlerische Aufmerksamkeit für die musikalischen Einflüsse seiner Vorfahren. Wichtig ist ihm, allen Richtungen eine ungeteilte Wertschätzung zu geben und weder zu kategorisieren noch zu privilegieren. Jede Kultur hat eigene, spezifische Bräuche, Rituale und Werte, die unabhängig voneinander zu bewerten sind.

„Jede Musik ist wertvoll. Die traditionelle indigene Musik ist genauso wichtig und interessant, wie die klassische Musik aus Europa. Natürlich kann und sollte man nicht vergleichen. Die Themen sind anders, wie die Musik gedacht wurde, wie die Indigenen die Musik verstehen, ist anders. Deswegen glaube ich, dass bevor man eine Musik hört, sollte man die richtigen ‚Brillen‘ tragen, um das nötige Verständnis zu entwickeln“

Was Montero darunter versteht, ist mit der Idee verbunden, Musik nicht nur wie ein Gebrauchsgut zu konsumieren. Vielmehr geht es ihm darum, sich auf andere Sichtweisen einzulassen, sie zu respektieren. Eine Kultur kann nur dann wirklich erfasst werden, wenn man sich auch bemüht, ihre Perspektive zu verstehen. Rafael Montero spricht hier von einer Dekolonialisierung der Musik, die auch seinen musikalischen Schwerpunkt, die klassische Musik betrifft.

Es gibt viele Europäer, die Barockmusik aus Lateinamerika gesungen haben. […] Ich und meine lateinamerikanischen Kollegen identifizieren uns nicht mit diesem Klang, weil wir denken, wir haben eine andere Art, diese Musik zu machen. […] Und ich bringe z.B. die Spiritualität der indigenen Bevölkerung mit in die Interpretation der alten Musik Lateinamerikas.

Rafael Montero

Vor diesem Hintergrund hat er es sich zur Aufgabe gemacht, klassische Kompositionen in indigenen Sprachen, neu aufzuführen. Ziel ist nicht nur, den Reichtum der bisher kaum bekannten Werke aus der lateinamerikanischen Renaissance- und Barockzeit einem größeren Publikum bekannt zu machen. Er möchte auch den dominanten europäischen Wertekanon durch mehr Sensibilisierung und Reflektion aktualisieren:

„Wir sind immer noch unterrepräsentiert. […] Und ich glaube, wir sollten unsere Gedanken entkolonialisieren. Jede Kultur hat wichtige Sachen. Und es ist Zeit, die indigene Kultur zu entdecken und – in meinem Fall – in die klassische Musik zu bringen.“