Die deutsche Musiklandschaft steht vor großen Herausforderungen: Nachwuchsmangel in der Musikpädagogik, knapper werdende Fördermittel und die Notwendigkeit, die kulturelle Vielfalt sichtbarer zu machen. Antje Valentin, seit 2024 Generalsekretärin des Deutschen Musikrats, spricht im Podcast „Musikwelten NRW“ mit Tuba Tunçak über ihre Arbeit und die drängendsten Themen der Musikszene.

Ein Netzwerk für die Musik

Valentin, die zuvor 13 Jahre lang die Landesmusikakademie NRW leitete, ist heute bundesweit unterwegs – von Schleswig-Holstein bis ins Saarland, von Mitgliederversammlungen der Landesmusikräte bis zur Verleihung des Deutschen Jazzpreises. Das Büro von Antje Valentin und ihrem Team in Berlin liegt nahe dem politischen Zentrum Deutschlands, denn kulturpolitische Arbeit gehört zu ihren Kernaufgaben:

Schwerpunkte der Verbandsarbeit

Der Deutsche Musikrat setzt seine Arbeit auf mehreren zentralen Feldern an: Neben der musikalischen Bildung an Schulen und Musikschulen sowie dem akuten Nachwuchsmangel stehen die Stärkung freier Künstler und Ensembles im Fokus – insbesondere bei Fördersituationen und Honoraruntergrenzen. Ein weiterer wichtiger Baustein ist die Förderung der Amateurmusik und ihrer Verbände.

Besonders innovativ ist die Bundesinitiative „Musik und Demenz“, die beim Landesmusikrat Hamburg angesiedelt ist. Gemeinsam mit der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft (DMtG), der Deutschen Gesellschaft für Musikgeragogik (DGfMG) sowie dem Bundesmusikverband Chor und Orchester (BMCO) will der Deutsche Musikrat ein bundesweites Netzwerk schaffen, damit überall Menschen musikalische Angebote für demenziell Erkrankte finden können.

Nachwuchsmangel als zentrale Herausforderung

Die dringendste Aufgabe sieht Valentin im musikpädagogischen Bereich: Es gibt einen dramatischen Rückgang bei den Interessenten für entsprechende Studiengänge. Sowohl Schulen als auch Musikschulen leiden unter dem Mangel an qualifizierten Lehrkräften. Die Gründe sind vielschichtig: Die Aufnahmeprüfungen gelten als zu schwer und abschreckend, die Bezahlung an Musikschulen ist oft unattraktiv, und viele junge Menschen können sich nicht vorstellen, dass Musikpädagogik ein erfüllender Beruf sein kann.

Genau das zu ändern, beschreibt Valentin als wichtiges Anliegen. Der Deutsche Musikrat startet deshalb eine große Kampagne in den sozialen Medien, um für musikpädagogische Berufe zu werben.

Honoraruntergrenzen: ein schwieriger Balanceakt

Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit sind die Honoraruntergrenzen für freiberufliche Musiker. Nach intensiven Verhandlungen mit Musikwirtschaftsverbänden und Künstlerverbänden wurde eine Empfehlung von 300 Euro als Tagessatz festgelegt. Eine bewusst grobe Richtlinie, die Raum für situationsbedingte Anpassungen lässt.

Diese Empfehlung ist seit neuestem bindend für alle Projekte und Institutionen, die zu mindestens 50 Prozent vom Beauftragten für Kultur und Medien des Bundes finanziert werden. Valentin betont jedoch, dass es sich dabei um eine „unterste Schmerzgrenze“ handelt. Der Deutsche Musikrat appelliert an die Politik, die Förderung zu verbessern und die Honorarsumme allmählich anzuheben. In der Arbeitsgruppe „Faire Vergütung“ wird jährlich neu über diese Empfehlungen beraten und an Anpassungen gearbeitet.

Knapper werdende Förderung

Die Finanzierungssituation der Kulturszene bleibt angespannt. Während der Bundeshaushalt 2025 die Musikförderung auf dem gewünschten Niveau hält, gehen die Mittel in Kommunen und Ländern zurück. Valentin setzt deshalb auch auf alternative Finanzierungsquellen: „Das wäre mein Traum, dass wir da auch als Deutscher Musikrat noch Empfehlungen mit unseren Künstlerverbänden zusammen herausbringen können.“ – Gemeint sind Drittmittel über Stiftungen, Mäzene und Fundraising-Aktivitäten.

17 Millionen musizierende Menschen

Trotz aller Herausforderungen gibt es auch ermutigende Zahlen: Eine aktuelle Studie des Allensbach-Instituts im Auftrag des Musikinformationszentrums Deutschland ergab, dass 16,3 Millionen Menschen in Deutschland regelmäßig als Amateure musizieren. Zusammen mit den rund 600.000 Profis ergibt das knapp 17 Millionen musizierende Menschen – über 20 Prozent der Gesamtbevölkerung, einschließlich der Personen mit Zuwanderungsgeschichte.

Vielfalt als ungenutztes Potenzial

Besonders wichtig ist Valentin das Thema kulturelle Vielfalt in der Musiklandschaft. Hier sieht sie Nordrhein-Westfalen als führend an, während bundesweit noch viel Potenzial ungenutzt bleibt. Projekte wie das Trickster Orchestra in Berlin, Bridges in Frankfurt oder Colorage in Ludwigshafen – ein Ensemble der Rheinland-Pfälzischen Staatsphilharmonie – zeigen, welche künstlerischen Schätze durch transkulturelle Zusammenarbeit gehoben werden können.

Valentin verweist auf historische Beispiele wie Debussy, der durch die Begegnung mit indonesischer Gamelan-Musik neue kompositorische Wege fand, oder Dvořák, der amerikanische Melodien in seine Werke integrierte. Jede Art von Musik stelle eine Bereicherung dar, betont sie.

Ökosystem Musik

Für März 2026 plant der Deutsche Musikrat einen großen Kongress in Berlin zum Thema „Ökosystem Musik“ – transformativ, nachhaltig und gesellschaftlich relevant. Das Konzept dahinter: Musik als großes, zusammenhängendes (Öko)System zu betrachten, das wesentlich von der musikalischen Bildung abhängt. Ohne Musikschulen und qualifizierten Musikunterricht an Schulen würde langfristig die gesamte Musikkultur „austrocknen“ – von der Instrumentennachfrage bis zur Bereitschaft der Menschen, Konzerte zu besuchen.

Die Botschaft ist klar: Die Zukunft der deutschen Musiklandschaft hängt davon ab, ob es gelingt, junge Menschen für musikpädagogische Berufe zu begeistern, faire Arbeitsbedingungen zu schaffen und die kulturelle Vielfalt als Bereicherung zu begreifen. Antje Valentin und der Deutsche Musikrat – mit seinen beiden Standorten, dem Deutschen Musikrat e.V. in Berlin und der Deutschen Musikrat gGmbH in Bonn – arbeiten gemeinsam mit ihrem bundesweiten Netzwerk daran, diese Herausforderungen anzugehen und eine lebendige, vielfältige Musikkultur in Deutschland zu fördern.


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