Autor:in: Lilian Linz

Datum: 19 Oktober, 2023

Kategorie: Profile


Psychedelischer Rock, durchtränkt von türkischen Einflüssen, definiert den einzigartigen Sound von Ahtapot. Die Band, bestehend aus Öğünç Kardelen, Niklas Schumacher und Niclas Ciriasy, versteht es, die konventionellen Grenzen des Genres zu sprengen und etwas völlig Neues zu kreieren. Ich hatte die Gelegenheit, mich mit dem Sänger und Frontmann der Band, Öğünç Kardelen, zu unterhalten und mehr über ihre Musik, den kreativen Schaffensprozess und die Bedeutung von Texten zu erfahren.

Die Musik von Ahtapot lässt sich schwer in eine Schublade stecken. Am ehesten würde Öğünç Kardelen sie als “moderne Psychedelic Rock Musik mit türkischen Einflüssen“ beschreiben. Diese Einflüsse aus der türkischen Psychedelic-Szene der 70er Jahre haben ihren Ursprung in Kardelens Kindheit. Damals war er förmlich von dieser Musik umgeben und konnte ihr kaum entkommen.

„Ich war ein großer Barış Manço Fan. Sie sind die Pioniere dieser Musik. Die Gruppe hat damals in den 70er Jahren viel Rockmusik aus den USA gehört und diese Einflüsse mit türkischen Rhythmen und Texten kombiniert. In der Türkei gab es damals nur eine Fernsehsendung mit vielen türkischen Filmen, und in diesen Filmen lief immer diese Musik. Du wächst also mit dieser Musik auf, auch wenn du keine Lust hast sie zu hören, bekommst du sie trotzdem mit. Und das ist auch ziemlich schön. Viele alte türkische Filme haben diese Musik tatsächlich so verbreitet. Die Musik wurde auf Hochzeiten gehört, und auch zuhause bei meinen Eltern lief sie. Ich bin also damit aufgewachsen.“

Der Weg von Öğünç Kardelen führte ihn zunächst in die Welt der Indie Folk-Musik als Mitglied der Band Kent Coda. Doch der Wechsel zu Psychedelic Rock war keineswegs dem Zufall überlassen. Die Musik des Projekts Kent Coda zeichnete sich vor allem durch ihre textlastigen Stücke aus, begleitet von einer minimalen Besetzung. Auch wenn die Bedeutung der Texte nach wie vor von großer Wichtigkeit ist, verspürte Öğünç Kardelen den Wunsch nach einer klanglichen Veränderung.

Ich wollte etwas machen, wobei die Musik im Vordergrund steht. Trotzdem wollte ich Musik machen, mit der ich vertraut bin und die es hier nicht oder nur super wenig gibt. Aber so, dass sich die Leute danach weniger mit den Texten beschäftigen müssen. (…) Außerdem wollte ich lauter werden. Jetzt haben wir ein Schlagzeug in der Band. Ich habe es vermisst, auf der Bühne laut zu sein.

Öğünç Kardelen

Die Band gründete sich in der Corona Zeit, weswegen Treffen im Proberaum kaum möglich waren. Daher beginnt der kreative Prozess meist bei Öğünç Kardelen selber. Ausgangspunkt ist oft eine Melodie im Kopf oder er entdeckt ein Riff beim Klimpern auf der Gitarre. Diese Ideen werden dann weiterentwickelt, und die Bandmitglieder bringen ihre eigenen Einflüsse und Ideen ein.

“Meistens klimpere ich mit der Gitarre Riffs oder ich habe die ganze Zeit Melodien im Kopf. Ich glaube so geht es vielen Leuten, die Musik machen. Es gibt tausende Ahtapot-Files auf meinem Handy. Die höre ich mir an und denke vielleicht: Ah, das ist eine schöne Melodie. Dann habe ich einen Startpunkt. Bevor wir das Interview angefangen haben, habe ich auch eine Melodie gefunden und direkt aufgenommen.”

Die Texte sind für Kardelen von großer Bedeutung. Sie handeln von der Natur, seinen Ängsten in der Welt und der Kritik an der Gesellschaft. Seine Texte zeigen immer wieder seinen ängstlichen Blick auf die Welt, doch sie tragen auch eine Botschaft der Hoffnung in sich.

“Ich bin nicht so wie viele Rockmusiker, also angry, agressiv, und alles ist scheiße. Früher habe ich in Punkbands gespielt, aber die Texte waren trotzdem sehr ängstlich. Meine Texte sind sehr menschenkritisch. Sie sprechen von dem, was wir alle irgendwie falsch gemacht haben. Trotzdem probiere ich in meinen Texten etwas Hoffnung zu suchen. Ich will auch nicht die ganze Zeit schwarzmalen und dekonstruktiv sein. Ein bisschen Hoffnung brauchen wir. Ohne Hoffnung ist alles sinnlos.”

Kardelen lebt seit zwanzig Jahren in Deutschland, damals kam er zum Studieren nach Köln. Obwohl das Publikum der Band überwiegend deutsch ist und er, wie er meint sich besser auf Deutsch als auf Türkisch ausdrücken kann, hat er sich entschieden in seiner Muttersprache zu singen. Das hat ganz pragmatische Gründe.

Türkisch ist eine sehr dankbare Sprache für Musiktexte. Im Deutschen gibt es zu viele Artikel und Grammatikregeln, die du einhalten musst. Das ist das Problem: Ich weiß nicht, wie ich die Barriere der deutschen Grammatik überschreiten soll.

Öğünç Kardelen

Wir kommen auf die türkisch-deutsche Musikkultur zu sprechen, die ihren Ursprung in dem ersten Anwerbeabkommen mit der Türkei vor 62 Jahren hat. Über diese Jahrzehnte hinweg leben und arbeiten Menschen aus verschiedenen Kulturen gemeinsam in Deutschland. Die gemeinsame Erfahrung hat dazu geführt, dass sie ihre Sprachen, Kulturen und Traditionen miteinander teilen und vermischen. Die türkisch-deutsche Musikkultur ist unglaublich reichhaltig und kann schlecht in einem Genre zusammengefasst werden. Das Bewusstsein für diese langanhaltende musikalische Tradition nimmt stetig zu, wie Kardelen erkennt. Trotzdem hat es viele Jahre gedauert, bis diese Musik die Anerkennung und Bühne fand, die sie verdient.

“Die türkische Volksmusik für europäische Ohren oft nicht leicht zugänglich. Ich glaube, dass das ein Prozess ist. Wenn man sie öfter hört und sich damit beschäftigt, merkt man allmählich, dass einem diese Art von Musik vertrauter wird. So wie das mit jeder Musikrichtungen ist. Ich finde das eine sehr schöne Entwicklung, auch wenn sie ein wenig spät kommt. (…) Ich bin sehr froh, dass die Musik endlich Anerkennung findet. Ich glaube, es hat etwa drei Generationen gedauert, bis die Menschen realisiert haben, dass wir hier etwas Besonderes haben. Davor hatte die türkische Musiktradition vor allem in Hochzeitssälen eine Bühne. Das hat aber damals niemanden so wirklich interessiert. Jetzt gibt es viele Fusion Sache, viele mischen die Musiktraditionen.”

Zu dieser vielfältigen Musiktradition gehört auch die Musik von Ahtapot. Im vergangenen April veröffentlichte die Band ihre neue Single „Dere“, eine klangliche Hommage an alte türkische Filme. Durch die Verwendung von Effekten und einzigartigen Gitarrenmelodien schafft die Band eine Atmosphäre, die an die Yesilçam-Filme der 70er Jahre erinnert. Inhaltlich behandelt der Song ein Thema, das in der heutigen Welt nicht mehr ignoriert werden kann – die Klimakrise, beleuchtet aus der Sicht eines Fisches, dessen Leiden von den Menschen nicht verstanden wird.

Derzeit arbeitet die Band an ihrer nächsten Single, die eine neue Richtung einschlägt. Der Song ist zweisprachig, mit einem englischen Part, der in Zusammenarbeit mit dem Musiker Jules Ahoi entstanden ist. Auch dieser Song setzt die gesellschaftskritische Thematik fort, die in den Texten von Ahtapot immer wieder präsent ist.

“Der Song handelt davon, wie wir alles zerstört haben, und trotzdem versuchen wir etwas Neues zu starten. Wir ziehen an den nächsten Ort, und machen dort wieder alles kaputt. Am Ende gibt es aber auch ein bisschen Hoffnung. Das Lied wird „Mantra“ heißen.”

Die Band plant, im kommenden Jahr ein neues Album aufzunehmen. In der Zwischenzeit haben Sie die Möglichkeit, Ahtapot live bei verschiedenen Konzerten zu erleben. Die nächsten beiden Auftritte finden am 4. November 2023 im Rahmen der Museumsnacht im Museum Ludwig in Köln und am 9. Dezember 2023 gemeinsam mit Chanson Trotoir in Köln statt.

Tickets sind erhältlich unter: https://www.koelnticket.de/event/chanson-trottoir-luxor-16748635/