Autor:in: Arnd Kolb

Datum: 28 April, 2023

Kategorie: Neuigkeiten


Kurdische Musik besticht durch einen besonderen musikalischen Reichtum, der auf einer langen, einzigartigen Tradition fußt. Diesen Reichtum zu bewahren, weiterzugeben, aber auch neu zu interpretieren ist herausfordernd und interessant zugleich. Unsere Podcasterin Tuba Tunçak hat in unserer neuen Folge mit mehreren kurdischstämmigen Kulturschaffenden gesprochen.

Kurdische Musik als kurdische Musik zu bezeichnen, ist eigentlich eine Verkürzung der Wirklichkeit. In Wahrheit ist sie mehr als das. Sie ist das Ergebnis einer jahrhundertealten kulturellen Vermischung von kurdischen, arabischen, osmanischen, persischen, türkischen Elementen und zahlreichen weiteren, regionalen und religiösen Einflüssen. Sie haben die kurdische Musikwelt zu einem diversen, eigenständigen, jedoch auch komplexen Erscheinungsbild geformt, das auf vielfache Weise der politischen Geschichte des Nahen und Mittleren Osten unterworfen war. Ein glänzendes Mosaik kultureller Vielfalt. Dementsprechend schwer ist es, von einer einzigen kurdischen Musikkultur sprechen. Das sieht auch der kurdischstämmige Musiker Koray Berat Sarı:

„Das hängt damit zusammen, dass die kurdische Bevölkerung generell sehr unterschiedlich ist. Es gibt viele verschiedene Religionen innerhalb der kurdischen Gesellschaft. Dann gibt es die verschiedensten sprachlichen Unterschiede oder Dialekte. Und die Regionen liegen sehr weit auseinander, was auch dazu führt, dass die Musiken ganz unterschiedlich klingen.“ Koray Berat Sarı

Sarı, der sich auch als Komponist und bedeutender Bağlama-Spieler verdient gemacht hat, liebt es, neue Musikstile und -kulturen zu entdecken. Unter anderem erforscht er kurdische Volkslieder wissenschaftlich. Dabei spricht die Problematik an, dass viele Kurden lange einem hohen Assimilierungsdruck unterworfen waren, als diese Lieder entstanden sind. In dieser bewegten politischen Zeit war es ein Ziel, der kurdischen Bevölkerung die eigene Identität zu nehmen, indem man ihre Sprache und Musik verbot.

In der kurdischen Musik haben wir den größten Nachteil, dass durch die Verbote vieles lange geheim gehalten oder nur mündlich überliefert wurde. Zum Glück gab es immer wieder private und kleine institutionelle Aufnahmen, die dann gesammelt wurden. […] aber es ist auch viel verloren gegangen.

Koray Berat Sarı

Spannend ist, dass trotz dieser schwierigen Überlieferungslage es zahlreiche Interessenten gibt, sich mit kurdischer Musik zu befassen. Kulturelles Wissen kann so, an kommende Generationen, z.B. durch das Erlernen der Bağlama, der anatolische Langhalslaute, die vor allem in der alevitischen-kurdischen Musiktradition einen festen Platz, weitergegeben werden. Erstaunlicherweise finden sich unter den Kursteilnehmenden zahlreiche Personen auch außerhalb der kurdischen Community:

„Es gibt eine ganze Menge Kinder und Jugendlicher, aus türkischen und kurdischen Haushalten, die das Instrument erlernen möchten. Ab und zu gibt es einige, die keinen traditionellen Bezug zum Instrument haben, seien es deutsche Kinder oder Lehrkräfte, die durch das Instrument an sich, von seinem Klang begeistert sind.“ Koray Berat Sarı

Auch die „Kurdische Gemeinschaft Rhein-Sieg/Bonn“, hat sich der Traditionspflege verschrieben. Der Verein bietet Workshops zum Erlernen der Bağlama an, damit kurdische Musik gefördert wird. Gleichzeitig ist es der Gemeinschaft ein Anliegen, Menschen vielfältiger Herkunft einzuladen, über die Musik einen gemeinsamen Verknüpfungspunkt zu finden.

Das Projekt bietet den Teilnehmenden einen interkulturellen, geschützten Raum, in dem sie Musik erlernen, aber auch eine Möglichkeit des Empowerments erleben, da die meisten Teilnehmenden eine Fluchterfahrung haben. Musik erlernen, ist wichtig, aber genauso der interkulturelle und menschliche Austausch untereinander.

İlkay Yılmaz, Kurdische Gemeinschaft Rhein-Sieg/Bonn

Tradition ist wichtig für den Erhalt und Weitergabe von kulturellem Erbe. Sie benötigt jedoch beständiger Erneuerung, um nicht zu verkümmern. Schaut man sich die Geschichte der kurdischen Kultur an, hat sie diese Leitidee nicht nur verinnerlicht, sondern setzt sie nahtlos weiter fort, nicht zuletzt in der Musik. So wird ihre musikalische Vielfalt um weitere Klangwelten erweitert.

„Mittlerweile haben wir den Einfluss der kurdischen Musik in fast allen Genres, von der Klassik bis zum Pop.“ Koray Berat Sarı

Es gibt weitere kurdischstämmige Kunstschaffende, die sich ebenso mit einem Genre nicht aufhalten. Ihr transkultureller Ansatz überwindet „kulturelle Etiketten“, indem sie klar abgrenzende Einheiten zunehmend vermischen und vernetzen. Nure Dlovani, eine in Armenien geborene Kurdin, ist dieser Aspekt besonders wichtig. Ihr Instrument ist die klassische Konzert-Geige. Mit ihrem musikalischen Engagement geht sie noch einen Schritt weiter und verbindet die Vielfalt der kurdischen Musik mit den Elementen der Klassik und des Jazz. Eine neue, erfrischende Komponente, die den traditionellen Rahmen um eine weitere Ebene erweitert.

„Kurdische, armenische, arabische, türkische Musik bereichern mich technisch, musikalisch, aber auch seelisch. In der klassischen Musik hat man eine Seele, in der kurdischen eine andere. Diese ganze Vielfalt bereichert mich sehr.“ Nure Dlovani